30 Januar 2022 0:11

Ukraine-Krise bedroht deutsch-russisches Gastransport-Megaprojekt

Rodrigo Zuleta

Berlin, 29. Januar – Die Krise in der Ukraine hat eine Debatte über die intensiven Beziehungen zwischen Deutschland und Russland im Energiebereich und die Zukunft der Gaspipeline Nordstream II ausgelöst, die im Falle einer russischen Invasion wahrscheinlich nicht in Betrieb genommen wird.

Die Pipeline hat fast von Anfang an eine politische Debatte ausgelöst, weil vor allem in Osteuropa die Befürchtung besteht, dass die Europäische Union (EU) in eine zu große Energieabhängigkeit von Russland geraten könnte.

Der Konflikt mit der Ukraine hat die Situation noch verschärft, da die Behauptung der deutschen Regierung, die Pipeline sei ein rein wirtschaftliches Projekt, in Frage gestellt wurde.

Außenministerin Annalena Baerbock ist das unverblümteste Mitglied der Regierung. Sie erklärte dem Parlament, dass im Falle einer russischen Aggression gegen die Ukraine „wir eine Reihe von Antworten zur Verfügung haben, einschließlich Nord Stream II“.

Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich weniger deutlich, erinnerte aber an das Abkommen mit den USA über den Betrieb der Pipeline, das die Möglichkeit vorsieht, die Inbetriebnahme zu verhindern, falls es zu einem russischen Angriff auf die Ukraine kommt.

Die Stimmen aus den Fraktionen der Regierungsparteien sind deutlicher und so sagte z.B. die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agner Strack Zimmermann, am Freitag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, dass Nordstream II nicht in Betrieb gehen wird, solange die Gefahr eines Krieges in der Ukraine besteht.

DAS PROJEKT UND SEINE GESCHICHTE

Nord Stream ist ein System für den Transport von Gas von Russland nach Deutschland und in andere europäische Länder über die Ostsee und besteht aus zwei Pipelines: Nord Stream I, das 2011 in Betrieb genommen wurde, und Nord Stream II, das letztes Jahr fertiggestellt wurde, aber noch nicht in Betrieb ist.

Nord Stream I befindet sich im Besitz eines Konsortiums, dessen Hauptanteilseigner mit 51 Prozent der russische Gigant Gazprom (MCX:GAZP) ist. Der Rest wird von Winterhall Dea, E-on (DE:EONGn), Gasunie und Engie (PA:ENGIE) gehalten. Nord II befindet sich zu 100 % im Besitz von Gazprom.

Die Pläne, eine Pipeline durch die Ostsee zu bauen, um Gas nach Deutschland zu transportieren – damit Gazprom keine Gebühren für die Durchleitung durch Polen und die Ukraine zahlen muss – wurden in einer Zeit hervorragender Beziehungen zwischen Russland und Deutschland und zwischen dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Präsident Wladimir Putin geschmiedet.

Schröder und Putin wohnten der feierlichen Unterzeichnung des Abkommens zwischen den Unternehmen am 11. April 2005 bei.

Ursprünglich wurde das Projekt von der EU unterstützt, doch 2005 änderte sich die Situation, als Gazprom aufgrund unbezahlter Rechnungen die Gaslieferungen an die Ukraine einstellte.

Für Deutschland bestand der Vorteil des Gastransports durch die Ostsee gerade darin, dass seine Gasversorgung gesichert war und es nicht von möglichen politischen Konflikten mit anderen Ländern betroffen war.
Damals wie heute war es für Deutschland von entscheidender Bedeutung, die russischen Gaslieferungen zu sichern, denn der 2002 eingeleitete Ausstieg aus der Atomenergie erforderte Alternativen, während die Förderung der erneuerbaren Energien voranschritt.

RUSSISCHES GAS UND DEUTSCHLAND

Nach Angaben des deutschen Finanzministers Robert Habeck kommen derzeit 55 Prozent des in Deutschland verwendeten Gases aus Russland.

Nord Stream II basierte auf demselben Prinzip der Optimierung des Transports von russischem Gas nach Deutschland und war ursprünglich als gemeinsames Projekt von Gazprom und mehreren europäischen Unternehmen geplant, die sich jedoch aus dem Projekt zurückzogen.

Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW), hält das Projekt jedoch nicht für wirtschaftlich sinnvoll, da die Nachfrage nach Gas aufgrund des Ausbaus der erneuerbaren Energien mittelfristig sinken wird.

„Unsere Studien zeigen, dass zur Erreichung der Klimaschutzziele der Bedarf an Gas reduziert werden muss. Die Pipeline ist aus wirtschaftlicher Sicht unnötig“, so Kemfert gegenüber deutschen Medien.

Nach Angaben der deutschen Regierung wird der größte Teil des russischen Gases, das in Deutschland ankommt, über Nord Stream I und nicht über Überlandleitungen transportiert.

(Archivressourcen unter www.lafototeca.com code 5541426 und andere)